26. Juni 2024Dr. Daniela Sandner

Frau Sandner, was verbinden Sie als Sprecherin des bayerischen Landesvereins für Heimatpflege mit dem Wort „Heimat“?

Heimat ist ein Gefühl der Geborgenheit, der Vertrautheit, des sich-zurecht-Findens. Heimat kann ein Ort sein, muss aber nicht. Durch die Vielzahl an möglichen Lebensentwürfen ist Heimat heute mehr als zu allen anderen Zeiten gestaltbar, wählbar, veränderbar. Heimat bedeutet für jeden und jede etwas anderes und ist meist mit sehr persönlichen Erinnerungen und Erlebnissen verknüpft.

Der Heimatdiskurs wird im öffentlichen Diskurs kontrovers geführt.

Es gibt eben auch eine andere, eine dunkle Seite der Heimat. Dieses Verständnis von Heimat exkludiert. Heimat ist hier die Heimat der Anderen, die nicht die eigene ist, zu der manche nicht dazugehören dürfen oder können. Heimat ist ein Albtraum, titelten Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah in ihrem Buch.

Im Kontext von Heimat stellen sich auch die Fragen: „Wer sind wir? Wer gehört dazu? Was hält unsere Gesellschaft zusammen?“

Am Ende arbeiten wir uns aber an diesem Begriff ab. Wir, die wir „die Heimat pflegen“ vielleicht im Besonderen, denn „es gibt kaum ein Wort, das so zwischen Intimität und Weltpolitik zerrissen wird“, schrieb einst Christina Berndt in der Süddeutschen Zeitung.

Was macht eigentlich der Landesverein für ein Heimatpflege? Wie pflegt man die Heimat?

Der Landesverein kümmert sich seit seiner Gründung im Jahr 1902 um Landeskultur, um Heimat-, Denkmal- und Baupflege, Volksmusik, Bräuche, Trachten und Mundart in Bayern.

Wir vernetzen Menschen, die sich für den Erhalt und die behutsame Gestaltung der bayerischen Regionalkultur einsetzen. Das sind vor allem, aber nicht nur die Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger in Bayern, deren Dachverband der Landesverein ist.

Unser Leitbild, die Heimat zu schützen, bedeutet nicht nur, sie zu bewahren und zu pflegen, sondern sie auch verantwortungsvoll weiterzuentwickeln. In diesem Sinne hat sich die Heimatpflege den gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen der Gegenwart zu stellen.

Dazu gehört auch, dass wir Widerspruch äußern, wenn der Heimatbegriff einseitig missbraucht wird.

Was denken Sie, warum ist der Begriff „Heimat“ so attraktiv für rechtsextreme Akteure? Und warum können Verschwörungserzählungen an den Heimatbegriff so leicht anknüpfen?

Heimat, so wie wir sie heute verstehen, stellt im Grunde eine Erfindung der Moderne dar. In der bürgerlichen Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts erschien sie einerseits als Sehnsuchtsort, andererseits wurde hier bereits der Grundstein für eine politische Vereinnahmung und Ideologisierung im Nationalsozialismus gelegt. Seit der Romantik und in den deutschen Nationalbewegungen erfuhr Heimat eine völkische Verklärung: Heimat und Volk gehörten nun untrennbar zusammen – Heimat galt als exklusives Konzept, das nach außen abgrenzte und nach innen (auch gewaltsam) Einheit herstellen sollte.

In der gegenwärtigen Lebenswelt, die uns häufig zu komplex und unberechenbar erscheint, haben Bedrohungsnarrative rechter Gruppierungen offenbar leichtes Spiel. Sie erklären auch die „deutsche Heimat“ als bedroht. Die Anschlussfähigkeit des Heimatbegriffs an Diskurse um nationale Zugehörigkeit und „völkische“ Ideen ist im heutigen gesellschaftspolitischen Diskurs direkt nachvollziehbar.

Treibstoff vieler Verschwörungserzählungen sind Gefühle – Angst, Bedrohung, Benachteiligung, Bedürfnis nach Abwehr, Opfermentalität – und auch Heimat wird über Gefühle assoziiert. Der Begriff bietet sich daher leider für Vereinnahmungen geradezu an…

Begegnen Ihnen oder Ihren KollegInnen Probleme mit rechtsextremen Deutungen des Begriffs oder mit damit verbundenen Verschwörungsmythen?

In unserer alltäglichen Arbeit kommen wir mit konkreten Vorkommnissen eher selten in Berührung. Es gibt beispielsweise Bräuche, die antisemitische Hintergründe haben und auch heute noch gepflegt werden. Die Brauchträgerinnen und Brauchträger sind sich dessen häufig gar nicht bewusst oder legen eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag. Hier müssen wir Kontexte vermitteln und aufklären.

Deutlicher wird die Vereinnahmung des Begriffs im politischen, auch im extrem rechten Diskurs. Dies gibt uns Anlass zu großer Sorge. Dass sich die rechtsextreme Partei NPD im Juni 2023 in „Die Heimat“ umbenannt hat, macht uns sprachlos. Einem exkludierenden Heimatbegriff müssen wir entgegentreten!

Martin Wölzmüller, ehemaliger Geschäftsführer des Landesvereins, hat einmal gesagt: Unsere Heimat wird viel eher von der Ausbeutung durch fortschreitende Bodenversiegelung, von dümmlicher Folklorisierung, vom baulichen Wildwuchs und vom Ausverkauf von geistigen und natürlichen Ressourcen bedroht, als von Migration, die zu allen Zeiten Teil auch vormoderner Gesellschaften war. Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen.

Könnte man auf das Wort „Heimat“ nicht einfach verzichten?

Im Gegenteil: Der Begriff Heimat spricht sehr viele Menschen an und löst in den meisten immer noch eine positive Grundstimmung aus. Ich denke, dass diese in aller Regel nicht zwischen einem politischen und ihrem persönlichen Heimatbegriff unterscheiden.

Wieso sollten wir einen überwiegend positiv besetzten Begriff den Rechten überlassen?

Allerdings dürfen wir als Verband den Begriff „Heimat“ auch nicht im Abstrakten verschwimmen lassen. Sie kann schließlich alles sein, wobei das bloße Konzept „Heimat ist ein Gefühl“ zu kurz greift. Sie ist eben auch verortet, und zwar im konkreten Lebensumfeld, das mit dem regionalen Nahraum zusammenfallen kann, aber nicht muss.

Wenn das Konzept „Heimat“ am Ende nur noch die Rechten anbieten und füllen, dann gute Nacht!

Was kann gegen die Vereinnahmung des Begriffs durch extrem rechte Gruppen unternommen werden?

Notwendig ist es, die ideologischen Verstrickungen von Begriffen, insbesondere des Heimatbegriffs, aufzudecken. Dabei sollten wir sachlich und unaufgeregt argumentieren und dem Spektakel, das zur rechtspopulistischen Diskursstrategie gehört, keine Plattform bieten.

Dies setzt voraus, die eigene Position zu schärfen und eine klare Haltung zu zeigen. Heimatvereine und Heimatbünde müssen sich ihrer gesellschaftlichen (und historischen) Verantwortung bewusst sein und dürfen sich nicht ideologisch vereinnahmen lassen.

Und schließlich sollten Einzelne, aber auch Gruppierungen und Verbände, eine gute und tugendhafte Politik einfordern. Demokratische Parteien stehen nämlich durchaus in der Pflicht, den Heimatbegriff glaubwürdig und positiv aufzugreifen.

Für die Heimatpflege eröffnet sich damit insgesamt die Perspektive, sich stärker und mutiger in die Vermittlerrolle zu begeben und einen pluralen und lebendigen Begriff verschiedener Heimaten zu vermitteln. Denn es ist eben auch unsere Aufgabe und Pflicht, inzwischen überholten Konzepten von Heimat und Identität mit modernen Fragestellungen zu begegnen.