Von einer Randerscheinung, die oft eher mit Belustigung wahrgenommen wurde, hat sich die Verbreitung von verschwörungsideologischem Denken in den letzten Jahren zu einem Problem entwickelt, das extrem rechte Strömungen befeuert und demokratische Strukturen angreift. Ich habe Birgit Mair, Expertin für Rechtsextremismus und langjährige Beobachterin der Szene, nach der Verbindung zwischen Verschwörungsideologien und extremer Rechter befragt.
Sie beobachten seit Jahren das extreme rechte Milieu. Was hat die extreme Rechte mit Verschwörungsideologien zu tun?
Sehr viel. Verschwörungsideologische Kritik an der Gesellschaft baut darauf auf, dass eine wie auch immer geartete kleine Elite im Geheimen die Fäden ziehen und die gesamte Gesellschaft ins Unglück stürzen soll. Für die Verfasstheit der wirtschaftlichen Verhältnisse, für die Mechanismen der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums usw. interessiert man sich kaum. Reduzierung der Ungleichheit: kein Thema.
Die Nationalsozialisten griffen auf antisemitische Verschwörungslegenden wie die „Protokolle der Weisen von Zion“ zurück. In diesem im 19. Jahrhundert entstandenen, durch den Geheimdienst des zaristischen Russlands verfassten Pamphlet wird Jüdinnen und Juden unter anderem unterstellt, die Welt beherrschen zu wollen. Extrem rechte AkteurInnen verbreiten derartigen gefährlichen Schwachsinn bis in die Gegenwart weiter.
Eine weitere, durch extrem rechte Bewegungen hervorgebrachte Verschwörungserzählung ist die vom angeblich durchgeführten „Großen Austausch“, der die permanente und hasserfüllte Hetze gegen Geflüchtete rechtfertigen soll. Dieser Verschwörungserzählung nach soll die „deutsche“ Bevölkerung sukzessive durch eine „fremde“ Bevölkerung ausgetauscht werden. Es geht dann nicht mehr um Menschen, die vor Krieg, politischer Verfolgung und extremer Armut fliehen, sondern um gezielte Pläne zur Reduzierung bis hin zur Vernichtung der angeblich angestammten „Einheimischen“.
In der rechtsoffenen Querdenken-Bewegung sind Verschwörungsideologien ebenfalls weitverbreitet.
Oft heißt es von den Querdenken- oder Montagsdemos, dort seien ganz normale Menschen aus allen politischen Lagern. Was sind Ihre Beobachtungen?
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Demonstrierenden harmlose Menschen aus allen Schichten sind. Doch blicken wir zurück ins erste Corona-Jahr: Von Mai bis Dezember 2020 fanden allein in Bayern mehr als 70 „Veranstaltungen, Demonstrationen oder Aktionen statt, die (…) von Rechtsextremisten und Reichsbürgern organisiert bzw. durchgeführt wurden und an denen Rechtsextremisten und Reichsbürger teilgenommen haben.“ Die eben zitierten Erkenntnisse der Bayerischen Staatsregierung decken sich mit meinem Monitoring der Querdenken-Szene in Nürnberg. Auch hier waren in diesem Zeitraum Leute aus der Holocaust-Leugner-Szene, Neonazis, Reichsbürger, Pegida-AktivistInnen, rechte Islamfeinde der „Bürgerbewegung Pax Europa“ und AfD-FunktionärInnen bei den einschlägigen Kundgebungen zu sehen. Die altbekannten Rechten liefen dann zeitweise Seit an Seit mit radikalen ImpfgegnerInnen und Menschen, die an Esoterik glauben. Das Gefährliche an dieser spätestens seit der Pandemiezeit verfestigten Gemengelage ist, dass die relative politische Isolation des Rechtsradikalismus in Deutschland aufgehoben zu sein scheint. Radikale Rechte und Neonazis werden von einem verschwörungsideologisch und esoterisch beeinflussten Publikum häufig verharmlost und toleriert. Im mittelfränkischen Ansbach führt dies mittlerweile dazu, dass NPD- (bzw. inzwischen Heimat-)nahe Kräfte die einschlägigen Demos anführen.
Welche weiteren Beispiele konnten Sie beobachten?
Ein Paradebeispiel für die Verknüpfung extrem rechter AkteurInnen mit der Querdenken-Szene ist der österreichische Internet-Sender „AUF1“, der in der Pandemie gegründet wurde und seither versucht, mit einer Mischung aus Bedrohungsszenarien und Verschwörungsideologie auch in Deutschland Fuß zu fassen. So tourte letztes Jahr ein „Impfbus für die Wahrheit“-Fahrzeug quer durch Deutschland und versuchte, Propagandamaterial an QuerdenkerInnen zu bringen. Ich selbst habe die Situation bei einer Impfgegner-Kundgebung im August 2022 in Nürnberg beobachtet und dokumentiert. „Nein zum Impfzwang“ stand in riesigen Lettern auf dem AUF1-Fahrzeug. Viele der knapp dreitausend QuerdenkerInnen trugen AUF1-Luftballons, auf denen „Alternatives unabhängiges Fernsehen“ versprochen wurde. Erst kürzlich fiel mir ein in Unterfranken verteilter AUF1-Flyer in die Hände, der in Unterfranken verteilt wurde. Dort heißt es auf dem Titelblatt, die „extreme Teuerung [sei] kein Zufall“, denn „Enteignung und totale Kontrolle [seien] Ziele der Globalisten“. Der „Plan der Globalisten“ sei der „Great Reset“, die komplette Enteignung der kleinen Leute, ein „geplanter Wirtschaftscrash“. Als Verantwortliche dieser angeblichen Katastrophe werden fünf Männer namentlich genannt: Klaus Schwab, Anthony Fauci, Bill Gates, George Soros und Henry Kissinger. Offensichtlich präsentiert AUF1 hier die „geheime“ Welt-Elite. Da zwei der Genannten jüdischen Familien entstammen, darf eine gehörige Portion Antisemitismus unterstellt werden. Mit einer rationalen Kapitalismus-Kritik bzw. Gesellschaftsanalyse hat das nichts zu tun. Um die Umverteilung des skandalösen Reichtums der Angehörigen der Oberschicht geht es an keiner Stelle, von Steuererhöhungen für die Wohlhabenden und verbesserten Sozialleistungen ist nicht die Rede.
Wirkt Verschwörungsdenken als eine Art Bindemittel zwischen sonst unterschiedlichen politischen Überzeugungen, etwa in der Querdenken-Bewegung?
Davon gehe ich aus. Irrationale Welterklärungen scheinen zumindest in neuerer Zeit nicht ohne Verschwörungsdenken auszukommen. In der Querdenken-Bewegung hat dies zu einer Anschlussfähigkeit für verschiedenste politische Strömungen geführt. Extrem rechte Medien bzw. Organisationen wie „Compact“ haben dies früh erkannt und diesen Prozess vorangetrieben und radikalisiert.
Haben Sie den Eindruck, dass verschwörungsideologisches Denken dadurch zunimmt?
Der Einfluss verschwörungsideologischer Plattformen im Internet hat in den Pandemiejahren deutlich zugenommen. Die rastlose und oft von keinerlei Rationalität eingegrenzte Publikationstätigkeit zu Themen, die die breite Masse der verunsicherten Bevölkerung beschäftigten (staatliche Corona-Regeln, Masken, Impfungen usw.) war nicht ohne Erfolg. Der in der ersten Phase der Pandemie weitverbreitete antisemitische QAnon-Verschwörungsmythos traf auf fruchtbaren Boden. Viele Menschen waren davon überzeugt, dass Donald Trump als Angehöriger der US-Elite und seine Anhänger weltweit gegen mächtige Angehörige anderer Teile der Eliten kämpfen und eingekerkerte Kinder vor einem grausamen Schicksal bewahren.
Im Laufe des Jahres 2022 wurde das Corona-Thema bei den QuerdenkerInnen nach und nach durch andere Themen ergänzt oder abgelöst. Der Krieg in der Ukraine, die vorübergehend bedrohte Energieversorgung oder die steigenden Lebenshaltungskosten sind Themen, die aufgegriffen werden, natürlich nicht, ohne sie mit Verschwörungsinhalten zu versehen. Verschiedene AkteurInnen aus dem extrem rechten und aus dem rechtsgerichteten esoterischen Milieu sind sich darüber nähergekommen.
Was halten Sie von der Einstellung, „der Zweck ist wichtiger als die Mitmarschierenden. Wer für die gute Sache, zum Beispiel Frieden, einsteht, muss auch akzeptieren, wenn er neben einem extremen Rechten steht.“
Davon halte ich gar nichts. Die zwischenzeitlich leider verstorbene Nürnberger Dragqueen Uschi Unsinn stellte sich vor einiger Zeit mit einem Transparent an den Rand einer Querdenken-Demonstration. Darauf stand „11. Gebot: Du sollst nicht mit Nazis laufen“.
Zum Thema „Frieden“: Rechtsextremisten wollen keinen Frieden. Sie stehen für dumpfen Nationalismus, Krieg und Militarisierung. Waffenlieferungen an die Ukraine usw. werden aus diesen Milieus heraus kritisiert, weil sie (meist) auf der Seite des nationalistischen Putin-Regimes stehen. Mit Pazifismus hat das nichts zu tun.
Ich habe vor ein paar Monaten eine „Friedens“-Kundgebung der AfD in Nürnberg beobachtet. Im Publikum befanden sich nicht nur AfD-Funktionäre, sondern auch Rechtsextreme der Identitären Bewegung und führende FunktionärInnen des selbst ernannten „Team Menschenrechte“, einer örtlichen Querdenken-Gruppierung. Es ist zu hoffen, dass die Abgrenzung der traditionellen Friedensbewegung nach rechts nicht aufweicht. QuerdenkerInnen und extrem Rechte arbeiten daran jedenfalls seit Jahren.
Beobachten Sie derzeit eine Normalisierung von Verschwörungsideologien und der extremen Rechten in Deutschland?
Ja. Obwohl die Pandemie vorbei ist, demonstriert die Querdenken-Szene immer noch durch zahlreiche Städte in Deutschland. In Nürnberg tut sie das jeden Montag mit derzeit gut 200 TeilnehmerInnen. Ein neues Milieu aus rechtsesoterischen und extrem rechten AkteurInnen ist entstanden und wird wohl nicht mehr so schnell in der Versenkung verschwinden. Es gibt leider zu wenig Aufklärung, zu wenig Gegenproteste auf der Straße. In einigen Fällen springen auch bürgerliche AkteurInnen auf den Zug auf, wie die jüngsten Auftritte des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und vor allem seines Stellvertreters Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im oberbayerischen Erding zeigten.
Was kann man gegen diese Entwicklung unternehmen?
Um einer Katastrophisierung aktueller Entwicklungen an dieser Stelle vorzubeugen: Die Verleugnung und Verharmlosung extrem rechter Strömungen und Phänomene hat bereits eine lange Vorgeschichte. Und: Extrem Rechte reagieren (auch) auf real vorhandene Krisenphänomene in unseren Gesellschaften. Die Corona-Pandemie und deren Folgen waren (hoffentlich) zeitlich begrenzte Phänomene, die soziale Krise und die Folgen der Erderwärmung sind es nicht. Ungelöste und ignorierte gesellschaftliche Großprobleme bieten immer wieder Einfallstore für irrationale und extrem rechte Strömungen. Gelungene gesellschaftliche Lösungen könnten diese Tore wieder verschließen.