26. Juni 2024Dr. Stefan Rindlisbacher

Seit wann gibt es eine Umweltschutzbewegung? Wie kam die auf?

Schon im 19. Jahrhundert gab es erste Bestrebungen, besondere Naturdenkmäler und Kulturlandschaften vor dem Zugriff des Menschen zu schützen. In diesen ersten Natur- und Heimatschutzgruppen betätigte sich eine kleine, wohlhabende Oberschicht, die damit vor allem ästhetische Ziele verfolgte. Mit der sich beschleunigenden Industrialisierung und Verstädterung um 1900 wurde die Naturzerstörung zunehmend auch als Gesundheitsbedrohung für den Menschen wahrgenommen. In der Folge wurden staatliche Maßnahmen gegen die Verschmutzung von Gewässern, die Abholzung von Wäldern und die sogenannte Rauchplage ergriffen. Zugleich versuchte die sogenannte Lebensreformbewegung mit Naturheilkunde, Vegetarismus und Körperkultur eine „natürlichere“ Lebensweise innerhalb der Industriegesellschaft zu ermöglichen.

Das „Wirtschaftswunder“ nach dem Zweiten Weltkrieg gestattete es dann immer mehr Menschen am aufkommenden Massenkonsum teilzunehmen. Sie kauften sich Kühlschränke und Autos, ernährten sich von Fertigprodukten und leisteten sich Ferienreisen. Mit dem rasant wachsenden Energie- und Ressourcenverbrauch, den sich auftürmenden Abfallbergen und steigenden Schadstoffemissionen verschärften sich aber auch die Belastungen für Mensch und Natur. Zugleich setzte sich die Erkenntnis durch, dass nicht nur regional begrenzte Naturräume durch wirtschaftliche Aktivitäten bedroht sind, sondern die gesamte, den Menschen umgebende Natur mit all ihren Ökosystemen und Kreisläufen. Das Bewusstsein für diese Zusammenhänge wurde in den 1960er-Jahren durch Bücher wie Rachel Carsons Silent Spring (1962) auch in der breiten Öffentlichkeit geweckt. An die Stelle des lokalen Natur- und Heimatschutzes trat deshalb ein zunehmend global agierender Umweltschutz.

Seinen Durchbruch erlebte dieser Umweltschutz in den 1970er-Jahren. Der Bericht des „Club of Rome“ über die Grenzen des Wachstums (1972) und die Ölpreiskrise von 1973 erschütterten den Glauben an ein unendliches Wirtschaftswachstum und schufen ein Bewusstsein für die Begrenztheit fossiler Energieträger. Anschließend hatten düstere Zukunftsvisionen wie Herbert Gruhls Ein Planet wird geplündert (1975) Hochkonjunktur. Zur Massenbewegung wurde der Umweltschutz aber erst mit den Protesten gegen die zivile Nutzung der Atomkraft, die im deutschsprachigen Raum besonders erbittert geführt wurden. Diese Auseinandersetzungen führten schließlich 1980 zur Gründung der Partei „Die Grünen“.

 

Umweltschutz verbindet man häufig eher mit der politischen Linken. Wie stehen rechte Strömungen zur Umweltbewegung?

Tatsächlich war der Natur- und Umweltschutz bis in die 1980er-Jahre mehrheitlich ein Betätigungsfeld für Mensch aus bürgerlichen Mittel- und Oberschichten, die damit vor allem konservative, nicht selten aber auch rechtsextreme Ideen verknüpften. Schon die ersten Naturschutzpionier:innen wie Ernst Rudorff, Ludwig Klages oder Walther Schoenichen fielen im 19. Jahrhundert durch rassistische und antisemitische Standpunkte auf. So überrascht es nicht, dass sich die meisten Natur- und Heimatschutzvereine nach 1933 ohne größere Widerstände in den NS-Staat einfügten und ihre Aktivitäten in den Dienst der nationalsozialistischen „Lebensraumpolitik“ stellten. Nach 1945 wurden diese Verstrickungen verdrängt und zahlreiche im NS-Apparat aktive Naturschützer:innen wie Alwin Seifert oder Hans Klose prägten mit ihren Ansichten auch die Entstehung neuer Natur- und Umweltschutzgruppen in der Nachkriegszeit.

Zwar gab es von Anfang an auch dezidiert linke Strömungen wie die 1895 gegründete Organisation „Naturfreunde“, die in der NS-Zeit verboten war. Aber erst im Zuge der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1970er-Jahre beteiligten sich immer mehr linke Gruppierungen an den Umweltschutzbewegungen. Die zögerliche Beteiligung der Linken am Natur- und Umweltschutz lässt sich darauf zurückführen, dass das marxistische Versprechen vom „Wohlstand für alle“ auf anhaltendes Wirtschaftswachstum und Konsumsteigerung angewiesen war. Die Umweltbilanz der Ostblockstaaten im „real existierenden Sozialismus“ war deshalb nicht besser als jene des kapitalistischen Westens. Erst die „Neue Linke“, die im Zuge der 1968er-Bewegung aufgekommen war, versuchte den Marxismus mit der Ökologie zu versöhnen. Diese ökosozialistische Strömung, die Umweltschutz mit Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Emanzipationsbestrebungen verknüpfte, begann sich aber erst Ende der 1970er-Jahre durchzusetzen. Darum waren sogar noch die Vorläuferparteien der „Grünen“ von Personen aus dem rechtsökologischen Spektrum wie Baldur Springmann, August Haußleiter und Werner Georg Haverbeck geprägt worden. Diese spalteten sich erst in den 1980er-Jahren von den „Grünen“ ab und gründeten eigene Parteien wie die „Ökologisch-Demokratische Partei“ (ÖDP).

 

Was versteht die ökologische Rechte unter Natur? Verwendet sie typische Schlagwörter oder Themen innerhalb des Umweltschutzes?

Die Natur ist für die ökologische Rechte der große „Ungleichmacher“. Sie gibt eine scheinbar „natürliche“ Ordnung vor, in die sich die Menschen einfügen müssen. Kulturelle Faktoren und soziale Verhältnisse werden konsequent ausgeblendet – der Mensch scheint den „Naturgesetzen“, seinen Trieben und genetischen Anlagen weitgehend ausgeliefert. Auf diese Weise werden soziale Hierarchien, Elitebildung, konservative Familienmodelle oder dualistische Geschlechterrollen als zeitlose und nicht veränderbare, weil von der Natur vorgegebene Tatsachen festgeschrieben. So lässt sich nicht nur die vermeintliche Ungleichheit der Geschlechter erklären, sondern auch eine soziale Abstufung der Gesellschaftsschichten legitimieren oder auch eine rassistische Rangordnung der „Völker“, „Kulturen“ oder „Rassen“ imaginieren. Mit dem Hinweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Anthropologie, Biologie oder Verhaltensforschung wird versucht, diese biologistische Sichtweise auf den Menschen als wertfrei und objektiv messbar darzustellen. Das begann bereits im 19. Jahrhundert als darwinistische Prinzipien vom „Kampf ums Dasein“ und der „natürlichen Auslese“ auf das Zusammenleben der Menschen übertragen wurden. Der daraus abgeleitete Sozialdarwinismus befeuerte nicht nur Krieg und Kolonialismus, sondern förderte auch die eugenische Idee von der Begünstigung „guter“ und Beseitigung „schlechter“ Erbanlagen im Menschen. So befürwortete schon Ernst Haeckel, der Erfinder des „Ökologie“-Begriffs, die Sterilisation oder sogar Tötung von Menschen mit Behinderungen oder chronischer Krankheiten, um dadurch die in der modernen Gesellschaft verloren geglaubte „natürliche Auslese“ wiederherzustellen. Später rechtfertigten die Nationalsozialist:innen den „Euthanasie“-Massenmord mit ebendiesen eugenischen Prinzipien.

Aber auch nach diesem „Zivilisationsbruch“ im Zeichen der „natürlichen Ordnung“ blieben Eugenik und Sozialdarwinismus ein fester Bestandteil der ökologischen Rechten. Verhaltensforscher:innen wie Konrad Lorenz oder Irenàus Eibl-Eibesfeldt warnten nach 1945 weiterhin vor der gesundheitlichen „Degeneration“ der Menschheit in der modernen Gesellschaft, die durch neue Umweltgifte, Pestizide und Arzneimittel weiter beschleunigt werde. So bildeten sich in den 1960er-Jahren die ersten Umweltschutzgruppen wie der „Weltbund zum Schutze des Lebens“ primär aus Sorge um den Fortbestand des „deutschen Volkes“. Auch die Anfänge der Anti-Atomkraft-Bewegung waren geprägt durch die Angst vor den Auswirkungen der radioaktiven Strahlung auf die „Erbgesundheit“. Aus diesem bevölkerungspolitischen Repertoire kam schließlich auch die Warnung vor der „Bevölkerungsbombe“. Die in rechtsökologischen Kreisen als größte Umweltbedrohung gehandelte Überbevölkerung war stark rassistisch konnotiert, weil damit das alte Schreckgespenst von der Verdrängung der „weißen Rasse“ durch Menschen aus Asien und Afrika neu aufgelegt wurde.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass wir uns in den Gefilden der ökologischen Rechten bewegen, wenn die Natur als nicht hinterfragbare Ordnungsinstanz auftritt, biologistische Prinzipien verkürzt auf das menschliche Zusammenleben übertragen werden, die Warnungen vor Umweltgefahren mit Degenerationsängsten durchzogen sind und die (eugenische) Regulierung der Bevölkerung zur wichtigsten Umweltschutzmaßnahme erklärt wird.

 

Warum führt dieses Naturverständnis so häufig zu antisemitischem Verschwörungsdenken?

Der Antisemitismus ist dem Naturverständnis der ökologischen Rechten gewissermaßen in die Wiege gelegt. Jüdische Menschen und solche, die als jüdisch gelesen wurden, dienten von Anfang an als Negativfolie zu den scheinbar natur- und heimatverbunden Deutschen. Schon um 1900 griff die völkische Bewegung die christlich-antijüdische Erzählung von den heimatlosen, ewig umherirrenden Juden auf und sprach jüdischen Menschen die Fähigkeit ab, sich mit der Natur verbunden zu fühlen. In diesem „Blut-und-Boden“-Denken erschien alles Jüdische als Fremdkörper, das unter keinen Umständen Teil der sogenannten Volksgemeinschaft werden kann. Vielmehr wurde „der Jude“ als Personifikation einer dekadenten, die Gesundheit bedrohenden und Moral zersetzenden Moderne imaginiert. Die Völkischen warfen jüdischen Menschen sogar vor, die liberale, städtische Lebensweise gezielt zu forcieren, um auf diese Weise traditionell-bäuerliche Lebenswelten auszulöschen. Die Entfremdung des „deutschen Volkes“ von der Natur ließ sich so als Teil einer „jüdischen Weltverschwörung“ lesen.

Von dieser antisemitischen Erzählung war die ökologische Rechte auch nach 1945 durchdrungen. Unter anderem beschrieb der österreichische Schriftsteller Günther Schwab in seinem 1958 erschienen Roman Der Tanz mit dem Teufel die Umweltverschmutzung als Verschwörung des Teufels zur Auslöschung der Menschheit. Egal ob Pestizide in der Landwirtschaft, die Abholzung der Regenwälder, giftige Nahrungszusätze oder der Bau von Atomkraftwerken – hinter allem steckt der Teufel, der als verschlagener Geschäftsmann in einem Wolkenkratzer in einer amerikanischen Großstadt residiert und von dort aus alle Fäden zieht. Der Antisemitismus tritt hier nicht mehr offen in Erscheinung, sondern codiert als jüdische „Hochfinanz“ und amerikanische Konsumkultur, die nach wie vor an der gesundheitlichen wie auch moralischen „Zersetzung“ des „deutschen Volkes“ arbeitet. Diese Mischung aus völkischer Konsumkritik, Antiamerikanismus und Antisemitismus geistert bis heute nicht nur durch dezidiert rechtsökologische Umweltschutzgruppen, sondern ist auch in linken Kreisen anschlussfähig, weil dort antisemitische Codes nicht immer erkannt werden.

Anfällig für antisemitische Verschwörungserzählungen sind entsprechend auch die Versuche, durch den Aufbau landwirtschaftlicher Siedlungen, die verloren geglaubte Naturverbundenheit und bäuerliche Lebensweise wiederherzustellen. Schon in der Hochphase der Industrialisierung um 1900 zogen Mitglieder der Lebensreform- und Jugendbewegung aufs Land, um dort von den Modernisierungsprozessen unberührt leben zu können. Einige davon, wie die „Artamanen“, verknüpften den Wunsch nach einer „Rückkehr zur Natur“ mit dem völkischen Versprechen nach einer „Regeneration“ der „deutschen Rasse“. So beruhten nicht nur deren Ziele, sondern auch die Auswahl der Siedler:innen auf rassistischen und antisemitischen Kategorien. Vor einigen Jahren gelangten völkische Siedlungen dann schlagartig wieder in den Fokus der Öffentlichkeit, als Berichte über „National befreite Zonen“ wie im mecklenburgischen Jamel die Runde machten. Seither mehren sich die Warnungen vor Rechtsextremen, die in strukturschwachen Regionen Biohöfe aufbauen, einen alternativen Lebensstil pflegen und gezielt lokale Dorfgemeinschaften zu unterwandern versuchen. Besonders aktiv ist dabei die „Anastasia-Bewegung“, die ihre Ideen aus der Anastasia-Buchreihe (1997-2010) des russischen Schriftstellers Wladimir Megre bezieht. Wie bei den „Artamanen“ soll ein auserwähltes Volk – hier die fiktiven Wedrussen – durch den Aufbau selbstversorgender, landwirtschaftlicher Siedlungen seine Naturverbundenheit und damit Gesundheit und Kraft zurückgewinnen. Wobei jüdische Menschen wiederum als Verkörperung und Strippenzieher hinter der modernen, liberal-demokratischen Gesellschaft imaginiert werden.

 

Was haben Körperpraktiken und Ernährung mit dem Naturverständnis zu tun? Was sind typische Praktiken der ökologischen Rechten?

Die Natur ist für die ökologischen Rechten nicht nur eine abstrakte Instanz, sondern manifestiert sich in alltäglichen Körperpraktiken. Die Art und Weise, wie sich Menschen ernähren, ihre Körper trainieren, Krankheiten behandeln und ihre Gesundheit pflegen, ist eng an ihr Naturverständnis gebunden. Schon den Lebensreformer:innen galt um 1900 die moderne Ernährung, Medizin und körperliche Betätigung als von der Natur entfremdet und damit als Ursache einer voranschreitenden gesundheitlichen „Degeneration“. Durch spezifische Ernährungsformen – möglichst vegetarisch, nicht industriell verarbeitet, ohne Alkohol und Genussmittel –, verschiedene Körperübungen wie Gymnastik, Yoga oder Nacktbaden sowie naturheilkundliche Behandlungen sollte dieser Prozess gestoppt oder sogar umgedreht werden. Im Fokus dieser Anwendungen wurde dabei immer der einzelne Mensch verortet, der seine Lebensweise an die vermeintlichen „Naturgesetze“ ausrichten muss, um wieder an Gesundheit zu gewinnen.

In völkischen Kreisen und später auch im Nationalsozialismus wurden diese lebensreformerischen Körperpraktiken in den Dienst der Eugenik und „Rassenhygiene“ gestellt. Das bedeutet, dass nur die als besonders wertvoll taxierten Teile der Bevölkerung aufgerufen wurden, sich durch Lebensreform zu ertüchtigen. So sollte das „deutsche Volk“ mithilfe von Vollkornbroten, Gymnastikübungen und Naturheilkuren an Arbeitskraft, Fruchtbarkeit und Wehrfähigkeit gewinnen. Wobei die in der Naturheilkunde oft geäußerte Ablehnung der sogenannten Schulmedizin und insbesondere die Impfkritik oft mit antisemitischen Verschwörungsnarrativen über eine Vergiftung des „Volkskörpers“ verknüpft wurde. Auch die Nationalsozialist:innen versuchten der vermeintlichen „Judenmedizin“ eine „Neue Deutsche Heilkunde“ entgegenzustellen, die sich stärker auf Volks- und Naturheilkunde stützen sollte. Heute sind in rechtsökologischen Kreisen nach wie vor antisemitisch aufgeladene Alternativmethoden wie die „Germanische Neue Medizin“ verbreitet.

Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die Arbeit am eigenen Körper und das Streben nach Gesundheit nicht generell als Ausdruck rechter Körperpolitik zu verstehen ist. Heute sind viele aus der Lebensreform kommende Ernährungs-, Körper- und Medizinalpraktiken in der Mitte der demokratischen Gesellschaft angekommen. Trotzdem gibt es nach wie vor Versuche, über alternative Ernährungsweisen, Körperpflege und Gesundheitsbehandlungen rechtsextreme Ideen zu verbreiten. Gerade in der zurückliegenden Coronavirus-Pandemie versuchte nicht nur die „Anastasia-Bewegung“ mit ihrem Versprechen nach einer gesünderen Lebensweise in der veganen Szene und der Permakulturbewegung neue Mitglieder anzuwerben. Auch im Umfeld der Corona-Maßnahmengegner:innen war der Weg von der Impfkritik zur antisemitischen Verschwörungserzählung oftmals nicht weit. Wer davon überzeugt war, dass sich eine Covid-19-Erkrankung lediglich durch gesunde Ernährung und Naturheilmittel vorbeugen lässt, suchte nach anderen Erklärungen, warum die Regierung die Pandemiemaßnahmen so rigoros umsetzte. Plötzlich war die Warnung vor „den Juden“ – codiert als Bill Gates oder Gorge Soros –, die das gesunde „deutsche Volk“ mit schädlicher „Schulmedizin“ schwächen wollen, wieder da.

Das Wissen um die Geschichte der ökologischen Rechten, kann dabei helfen, antisemitische Codes in den Kreisen der Umweltschutzbewegungen und Alternativszene zu erkennen und Verschwörungsnarrative zu entkräften. Allenfalls kann es auch dazu beitragen, die eigenen Naturvorstellungen und damit verbundene Handlungsweisen kritisch zu hinterfragen.